Festrede zum 25jährigen Jubiläum der Friesenschule 1967

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In der Geschichte einer Schule bedeuten 25 Jahre keine lange Zeit; es ist deswegen auch nicht üblich, anlässlich eines solchen Jubiläums große Feiern zu veranstalten. Aber Zeitraum ist nicht immer gleich Zeitraum, wenn auch die Zahl der Jahre übereinstimmen, es kommt darauf an, was sich in den Jahren ereignet hat, und da kann man feststellen, dass die Zeit von 1942 – 1967 allerhand an weltbewegenden Ereignissen gebracht hat. Sei es auf politischem, sei es auf wirtschaftlichem, sei es auf kulturellem Gebiet. Nicht nur die Weltkarte hat sich verändert, sondern das Leben der Völker wie das des einzelnen ist von einer Entwicklung erfasst worden, die in einem oft atemberaubenden Tempo – dauernd umgestaltet, neue Formen, neue Möglichkeiten schafft, neue Aufgaben stellt. Und die Schule hat Teil an dieser Entwicklung, sie kann sich dem steten Wandel nicht entziehen und muss versuchen, den Anforderungen der veränderten Welt gerecht zu werden. Sie schwebt nicht im luftleeren Raum, ruht auch nicht auf einer Insel der Seligen, sondern ist umbrandet von den Stürmen des pulsierenden Lebens und ist damit ein Politikum, d.h. sie wird bestimmt, geformt, geprägt durch die Kräfte und Mächte ihrer Zeit.

Unser Jubilar – die Realschule Leer – ist ein Beispiel dafür. Schon der Namenswechsel deutet das an: Hauptschule – Mittelschule – Realschule. Die Bezeichnung „Hauptschule“ weist auf die Ursprünge hin und auf die Zeit, in der sie entstand. Durch einen Erlass des Reichserziehungsministers – so etwas gab es einmal – wurde sie im August 1942 ins Leben gerufen. Diese Hauptschule von damals war etwas anderes als die Schulform, die in jüngster Zeit im Zuge der Umgestaltung der Volksschuloberstufe als Hauptschule bezeichnet wird. Wie manches andere in der damaligen Zeit wurde Name und Form „importiert“ aus der Heimat des Mannes, der von 1933 bis 1945 die Geschicke des deutschen Volkes lenkte: aus Österreich. In Österreich gab es schon lange die Hauptschule als Pflichtschule, die nach einem Ausleseverfahren alle geeigneten Schüler und Schülerinnen nach vier Grundschuljahren aufnahm und ihnen in vier weiteren Jahren eine über das Ziel und die Möglichkeiten der eigentlichen Volksschule hinausgehende Allgemeinbildung vermittelte, die als Voraussetzung für die Erlangung gewisser Berufe unerlässlich schien. Aus den Absolventen dieser Schule rekrutierten sich die Anwärter für die mittlere (gehobene) Beamtenlaufbahn sowie für eine Reihe technischer wie auch sozialer und pflegerischer Berufe.

Die Hauptschule gehörte zum mittleren Schulwesen. Der Zweck des Erlasses von 1942 war, das ganze Reichsgebiet mit einem Netz von solchen Hauptschulen zu überziehen, um auf diese Weise möglichst alle Begabungen zu erfassen und sie für den Dienst in Volk und Staat nutzbar zu machen.

Im Kreis Leer verblieb es damals bei der einen Neugründung in Leer; vorgesehen waren noch verschiedene Hauptschulen in zentral gelegenen oder größeren Orten des Kreises, wie Remels, Warsingsfehn, Stickhausen oder Detern. Dazu ist es aber nicht mehr gekommen, da der Zusammenbruch 1945 die Verwirklichung solcher Pläne unmöglich machte. Außerdem gingen die Behörden im Kreise Leer vorsichtig zu Werke, während in anderen Kreisen – wie z.B. Wittmund – eine Reihe ländlicher Hauptschulen eingerichtet wurden, die aber nach dem Krieg eingegangen sind.

Die einzige in ganz Ostfriesland, die bestehen blieb, war die Hauptschule in Leer, die nun allerdings ein anderes „Firmenschild“ bekam, denn die Bezeichnung „Hauptschule“ war wegen ihres nazistischen Ursprungs nicht mehr angebracht.

Dass die Schule überhaupt bestehen bliebt, ist eine Tatsache, die Anerkennung verdient und die von dem nüchternen Wirklichkeitssinn der 1945 in Leer regierenden Männer zeugt. Man hatte immerhin den Mut, diese im Zeichen des Nationalsozialismus geschaffene Schule weiterzuführen und sie zu einer sechsjährigen Mittelschule, die nun „Friesenschule“ genannt wurde, auszubauen, weil man den Wert einer solchen Schule und ihre Notwendigkeit in der Kreisstadt Leer erkannte. Tatsächlich wurde man mit der Einrichtung der Haupt- bzw. Mittelschule einem gerade in einer aufstrebenden Kreisstadt mit einer großen Anzahl gewerblicher und industrieller Betriebe wir Leer stark vorhandenen Bedürfnis gerecht. Die schon in den 20er Jahren eingerichtete zweijährige Handelsschule vermittelte nach achtjährigem Volksschulbesuch war auch schon die sogenannte „Mittlere Reife“, war aber doch wohl in erster Linie auf das kaufmännische Leben zugeschnitten. Deshalb wurde mit der Hauptschule 1942 und ihrer Fortsetzung – der Mittelschule – eine Lücke in dem Bildungswesen unserer Stadt geschlossen, und dass die Einrichtung notwendig war, zeigt die Zahl der Anmeldungen vor Beginn eines jeden Schuljahres. Übrigens war der Gedanke des Ausbaues, der 1945 verwirklicht wurde nicht neu; vielmehr waren sich die Schulaufsichtsbehörde und der damalige Schulleiter mit der Stadtverwaltung darin einig, dass die Hauptschule mit ihren vier Pflichtjahrgängen noch zwei Klassen als „Oberbau“ haben müsse, um gegenüber der Mittelschule alter Form mit sechs Jahrgängen nicht zurücksteht, natürlich auf dem Weg der Freiwilligkeit. Die Vorarbeiten dafür waren vor dem Zusammenbruch schon im Gange, und so war es erfreulich, dass dieser Plan dann doch trotz aller Schwierigkeiten noch an Gestalt gewann.

Die weitere Entwicklung hat den Initiatoren von damals recht gegeben, die Mittelschule hat sich zu einer aus unserer Stadt nicht mehr wegzudenkenden Bildungsstätte entfaltet. Für viele Bürger unserer Stadt und ihrer Umgebung ist es ein erstrebenswertes Ziel, ihren Kindern, wenn diese nicht studieren sollen oder können, wenigstens eine abgeschlossene Mittel-(Real-)schulbildung zuteilwerden zu lassen. Und so hat die Friesenschule seit 1945 rund 1200 Absolventen mit dem Abschlusszeugnis entlassen. Die in der Verwaltung, in Handel, Gewerbe und anderen Berufszweigen tätig sind, und ein nicht unbeträchtlicher Teil hat entweder durch Besuch weiterführender Schulen – Gymnasium, Wirtschaftsoberschule – oder über den zweiten Bildungsweg die Hochschulreife erreicht und sich eine akademische Bildung erworben. Mit 82 Jungen und Mädchen fing die Schule 1942 an, heute sind es über 700, die täglich dem neuen Schulgebäude am Pastorenkamp zustreben.

Mit der zunehmenden Schülerzahl wuchs der Raumbedarf, Mehrfach hat die Schule ihren Standort wechselt. Für die ersten beiden Klassen 1942 reichte das kleine Schulgebäude bei der reformierten Kirch, schon im nächsten Jahr wurde mit vier Klassen das Gebäude an der Ulrichstraße – jetzt Sonderschule – bezogen, nach dem Kriege wurde das frühere Offizierskasino an der Papenburger Straße. Und 1965 war dann endlich der langgeplante modere, großzügig angelegte Bau am Pastorenkamp fertiggestellt. Bei der Planung war nicht vorauszusehen, dass durch neue Erlasse und Verfügungen, vor allem Schaffung der Eingangsstufe ein weiteres Ansteigen der Schülerzahlen mit erhöhtem Raumbedarf hervorgerufen wurde. So hat das neue Schulgebäude wohl die für eine Realschule erforderlichen Spezialräume, aber für 22 Klassen im neuen Schuljahr stehen nur 14 eigentliche Klassenräume zur Verfügung, und so werden schon eifrig Überlegungen angestellt, wie die neue Raumnot behoben und ein geordneter Unterrichtsbetrieb gewährleistet werden kann.

Der Name „Realschule“ verpflichtet. Diese jetzt allgemein übliche, offizielle Bezeichnung soll auf ihre besondere Aufgabe hinweisen durch Auswahl und Behandlung der Lehrstoffe, die Schüler mit den Kenntnissen und Fähigkeiten auszurüsten, die sie in unserer heutigen Welt, die weitgehend eine Welt der Technik ist, brauchen. Eine vertiefte Allgemeinbildung soll sie befähigen, in dieser harten Welt der Realitäten auch Führungsaufgaben mit erhöhter Verantwortung zu übernehmen. So hat die Realschule neben der Volksschule, der neuen Hauptschule, der Berufsschule und dem Gymnasium ihren wichtigen Platz. Die verantwortlichen Stellen müssen durch Schaffung der äußeren Voraussetzungen helfen, dass ihr gesetzten Ziele erreicht werden können.

Immerhin – alle Beteiligten können mit einem Gefühl der Befriedigung auf ihre bisherige Entwicklung zurückblicken. Teil an dieser Entwicklung hatten auch die Lehrkräfte, die kamen und gingen und noch da sind; sie sollten bei einer solchen Rückschau nicht vergessen, besonders nicht diejenigen, die bereits ihre Augen für immer geschlossen haben: Jutta Seiffert, Wilhelm Künne und Paul Raackow.

Und wenn die ehemaligen Schüler auch in alle Winde zerstreut sind, so werden sie doch das Bild ihrer alten Schule im Herzen tragen, und irgendwo und irgendwie wird etwas von dem gekeimt und Frucht gebracht haben, was in der Schule gesät wurde.

So sind von der Hauptschule – Mittelschule – Realschule Leer in ihrem 25jährigem Bestehen Wirkungen mancher Art ausgegangen, nicht solche, die die Welt bewegten, aber die doch zu einem bescheidenen Teil mit dazu beitrugen, die Gesellschaft unserer Zeit mit zu prägen, zu gestalten und zu formen. Eine solche Wirkungsmöglichkeit in die Breite und in die Tiefe möge ihr auch für die nächsten 25 Jahre beschieden sein gemäß dem Goethewort:

„Stets geforscht und stets gegründet,
Nie geschlossen, oft geründet,
Ältestes bewahrt mit Treue,
Freundlich aufgefaßt das Neue
Heitern Sinn und reine Zwecke,
nun, man kommt wohl eine Strecke.“

Wenn dann die nächste Strecke – 25 Jahre – zurückgelegt ist, dann möge sich zum 50jährigen Jubiläum ein großer Freundeskreis zusammenfinden, Rückschau halten, Erinnerungen austauschen, des Vergangenen gedenken und sich des hoffentlich schönen Gegenwärtigen freuen – im Jahre 1992!

Johann Memming

Hauptschulrektor a.D.